Schön, aber selten

Theresia Asam: Salix Bowl

16.09.2023 bis 14.10.2023

Die handwerkliche Fertigung von Produkten reicht weit in die Menschheitsgeschichte zurück. Als unsere Vorfahren begannen, Speerspitzen aus Stein anzufertigen, war das eine der frühesten Formen der handwerklichen Produktion. Seither hat sich das Handwerk entwickelt und immer wieder verändert. Dabei gibt es eine Reihe von Berufen, die nur noch selten vorkommen, und auch manche Techniken sind vom Aussterben bedroht. In der Herbstausstellung nehmen wir schöne, aber selten gewordene Handwerke und Techniken in den Blick. Sie sind ein wichtiger Teil unserer Kultur. In der Herbstausstellung 2023 zeigen wir in der Handwerksform die Arbeiten von 20 Teilnehmer*innen. Das Spektrum reicht von Silbergerät über Glas, Korb, Schmuck und Textil bis hin zum Bogenbau, Holzschnitzen, Drechseln, Buchbinden, Geigenbau, und zur Posamentiererei und zur Strohmarketerie.

Bürsten und Besen

In der Sehnder Straße in Hannover liegt das Bürsten und Besen Atelier von Michaela Fedeschin. Hier entstehen handgemachte, exklusive und nachhaltige Produkte aus natürlichen Materialien. Das Bürstenbinden im Handeinzugsverfahren ist selten geworden und gehört zu den aussterbenden Berufen, obwohl in genau diesem Verfahren gefertigte Bürsten und Besen am hochwertigsten und langlebigsten. Fedeschin verwendet reinen Naturmaterialien, von der Pflanzenfaser bis zur Wildschweinborste. Daraus entsteht ein breites Sortiment hochwertiger Bürsten und Besen, die locker 20 bis 30 Jahre halten. Das Handwerk ist alt, der Look eher modern. Das sollte man sich nicht entgehen lassen.

Korb

Mit den Arbeiten von Theresia Asam und Christoph Martin präsentieren wir das Korbmacherhandwerk, das zu den ältesten Handwerken der Welt gehört. Die Korbmacherei oder das Flechten wurde schon früh in aller Welt mit den dort heimischen Materialien ausgeführt um Schönes und Nützliches herzustellen. Heutzutage ist sie in Deutschland aber eher selten geworden, da die aufwändige und zeitintensive Arbeit weiterhin nur mit den eigenen Händen ausgeführt werden kann und damit ein zeitsparender Einsatz von Maschinen nicht möglich ist. Auch durch die Einführung und Verwendung von Kunststoffen bei der Fertigung von Gebrauchsgütern wurden viele ehemals gebräuchliche korbflechterische Erzeugnisse ersetzt und bedeutete im Großen und Ganzem das „Aus“ der handwerklichen Korbwarenfertigung in Deutschland. Aber trotz aller beschriebenen Umstände gibt es sie noch die Korbmacher oder wie es heute heißt die Flechtwerkgestalter*innen.  

Christoph Martin verwendet für seine Arbeiten hauptsächlich Weiden, insbesondere ungeschälte Weidensorten. Hierbei ergeben sich besondere natürliche Farbnuancen und Effekte. Auch aus ökologischen Gründen hält er die Verwendung von heimischen Naturmaterialien für geboten. Die Flexibilität und auch die Haltbarkeit der Weidenprodukte erstaunt den Flechtwerkgestalter immer wieder. Er besitzt Korbwaren die schon über 100 Jahre alt sind und trotzdem von ihrer Schönheit und Nutzbarkeit nichts eingebüßt haben. Besonders schön: Alte Korbwaren aus reinen Naturmaterialien lassen sich reparieren. Und wenn wirklich gar nichts mehr zu retten ist, dann kann ein Korb unproblematisch entsorgt werden. Martin verwendet für seine Arbeiten gern die sog. Nansatechnik, die ursprünglich dazu diente in mediterranen Ländern Reusen anzufertigen. Hierbei werden die Weiden nicht wie bei nordeuropäischen Reusen miteinander verflochten, sondern mit Hilfe eines Fadens verknüpft.

Holz/Bogenbau

Es gibt Menschen, die haben in der Welt der kunsthandwerklichen Holzbearbeitung tiefe Spuren hinterlassen. Ein solcher Mensch ist der 2020 verstorbene Prof. Gottfried Böckelmann, der an der Hochschule in Hildesheim unterrichtet hat. Fast alle Drechsler*innen, die ich kenne, haben bei ihm studiert. So auch Meike Lietz-Butzer und Gerhard Butzer, die seit 1988 in Barwedel ihre Werkstatt betreiben. Ihre Spezialität ist der Langbogenbau, eine Fertigkeit, die sie in Kursen auch gern an Menschen weiter vermitteln, die sich für die Kunst des Bogenschießens interessieren. Zwei bis drei Tage dauert es, bis aus einem Stück Holz ein Langbogen entsteht. 

Holz / Drechseln

In der Ausstellung sind die Arbeiten mehrerer Drechsler – Klaus Kirchner, Michael Ott und Felix Votteler – vertreten. Das Drechslerhandwerk wird immer seltener. Es erscheint folgerichtig, dass es auf der Liste des immateriellen Kulturerbe der UNESCO steht. Von Klaus Kirchner zeigen wir Schalen, die er gemeinsam mit der Strohmarketerieexpertin Melanie Richet aus Schweinfurt entwickelt hat. Zwei seltene Handwerk neu kombiniert und heraus kommen exquisite Schalen. Kunsthandwerk vom Feinsten!

Michael Ott wird seine beeindruckende Arbeit  „5 Variationen einer Eiche“ beisteuern. Verwendet wurde eine 120 Jahre alte Roteiche, die aus einem Park stammt, der nur rund einen Kilometer von Otts Werkstatt in Saarbrücken entfernt liegt. Wegen Pilzbefall musste der Baum gefällt werden. Für die Nachwelt bleibt er erhalten, denn daraus entstanden 5 ungewöhnliche und hochklassige Objekte. Die „Welle“ ist außen gesandstrahlt und geölt und innen geschliffen und gewachst. Die „Feuersbrunst“ ist innen geölt und außen mit Feuer gebrannt, gebürstet und geölt. Die große Schale „nomen est omen“ wurde mit roter Beete behandelt. Der Rohling wog rd. 350 kg. Die fertige Schale mit einem Durchmesser von 780 mm wiegt nur noch 2680 Gramm. Das Taufbecken wurde aus einem Stück gearbeitet, geräuchert und geölt. Und die fünfte Arbeit mit einem Durchmesser von 750 mm wurde mit Eisenessig behandelt, dadurch entstand die schwarze Farbe.

Der jüngste in der Riege der Drechsler ist der 1988 in Tübingen geborene Drechsler Felix Votteler. Wie alle Drechsler ist auch er ein Holzenthusiast, der gern mit Totholz arbeitet. Er zeigt ein Gefäß aus Eiche, das eigentlich für die Brennholzherstellung vorgesehen war. Auf der Drechselbank auf wenige Millimeter Wandstärke reduziert, entstand ein wunderschönes Gefäßobjekt, dessen Oberfläche mit Graphit überzogen wurde.

Holz/Geigenbau

Auch der in der Ausstellung vertretene Geigenbaumeister Philipp Lieberwirth ist Jahrgang 1988. Er betreibt seit 2019 seine Werkstatt in der Blumenstraße in Hannover und hat sich auf den Neubau, die Restaurierung und die Reparatur von Geigen spezialisiert. Als junger Geigenbauer durfte er die Wiener Philharmoniker rund um die Welt begleiten und sich um deren Instrumente kümmern. Eine Ehre und eine Herausforderung. Bestimmt genauso herausfordernd ist aber die Selbständigkeit. Wenn Lieberwirth an einem Streichinstrument arbeitet und versucht, dem Baumholz verborgene Schönheiten zu entlocken, dann macht er sich gleichzeitig auf die Suche nach den „Schattenklängen“. So bezeichnet er die Klänge, die entstehen, wenn ein Kind auf einer Geige die ersten Übungen rauf und runter fiedelt. Das Schräge, das Quietschende, das falsch Intonierte, das schnell auch mal zum Krach mit den Nachbarn führt, der Schatten des wundervollen Streicherklanges, von dem wir alle träumen. Oh ja, ich weiß genau, wovon er spricht!

Holz/Holzschnitzerei

Wir sind sehr glücklich, dass wir in der Ausstellung gleich zwei Beispiele von holzgeschnitzten Löffeln zeigen können. Karin Bille, gelernte Tischlerin und studierte Produktdesignerin, verwendet Restholz, um so eine Serie kleinster Löffel zu gestalten und im Urlaub im südlichen Europa den Aufenthalt zu strukturieren: an jedem Tag entsteht ein Löffel. Aus dem fast Weggeworfenen entstehen so Objekte, die dem Alltag ein kurzes Innehalten abgewinnen.

Horst Wesemann, ursprünglich mal als Rechtsanwalt tätig, schnitzt seit 30 Jahren Löffel in den unterschiedlichsten Formen und aus den unterschiedlichsten Hölzern. Besonders gern verarbeitet er Hölzer mit Geschichte: den Türsturz aus einem Bergdorf in Norditalien, die im frühen 17. Jahrhundert verbauten Spundwände aus Eiche, die vom Buchsbaumzünzler zerstörten Buchbaumbestände aus der Nachbarschaft, das Eichenholz der 2013 an der Schlachte gesunkenen Bremer Kogge.  Er veranstaltet Schnitzkurze für Erwachsene und Kinder und erzählt dabei über die Kulturgeschichte des Speisens und erläutert, was es mit den Sprichwörtern rund um den Löffel auf sich hat.

Schmuck & Silbergerät

Die Silberschmiedin Barbara Amstutz  erlernte nach einigen Berufsjahren als Goldschmiedin das seltene Handwerk des Silberschmiedens. In der Schweiz gab es damals nur eine einzige Silberschmiede-Lehrstelle. Daher zog sie für die Ausbildung in die Niederlande. Bis heute ist das Treiben großer Metallobjekte mit dem Hammer ihre bevorzugte Arbeitstechnik: die linke Hand hält und dreht das Werkstück, während die rechte den fallenden Hammer führt. Das Gegengewicht von Amboss oder Eisen schickt ihn zurück in die Höhe, und schon fällt er wieder. In sich wiederholenden Bewegungsabläufen setzt sie Hammerschlag neben Hammerschlag. Das sich durch die Bearbeitung allmählich verdichtende Silber glüht sie von Zeit zu Zeit aus, damit es wieder formbar wird. So entsteht unter den Händen von Barbara Amstutz, die 2022 in Schwäbisch Gmünd als Stadtgoldschmiedin wirkte, silberne Gefäße. Mit besonderen Oberflächen, die den aufwändig hergestellten Gebrauchsobjekten eine spezifische Ausstrahlung und Haptik verleiht. Sie hämmert ein getriebenes Werkstück mit einem hochglanzpolierten Hammer fein ab und poliert die weißgesiedete Oberfläche mit dem Polierstahl. Durch dieses tradierte Polierverfahren bleibt der Entstehungsprozess des Objekts in den Werkzeugspuren sichtbar.

Im Bereich Schmuck zeigen wir Arbeiten des Juister Goldschmiedemeisters Ulrich Löhmann, der eine seltene Technik beherrscht: die Gold-Filigrantechnik. Die Filigrantechnik ist eine der ältesten Verarbeitungsformen im Schmuckhandwerk. Sie ist bereits aus etruskischer Zeit überliefert. Grundbestandteile des Filigrans sind feinste Golddrähte. Die Technik des Granulierens, also des Aufbringens von aus Kügelchen gebildeten Mustern auf Goldblech, geht mit dem Filigran dazu Hand in Hand. Über Jahrtausende hat sich diese Kulturtechnik über die ganze Welt verbreitet und in allen Winkeln ihre eigenen traditionellen Eigenheiten entwickelt. So auch in Ostfriesland. Da die Ostfriesen nur das besteuern mussten, was sie nicht am Leib trugen, hängten sie sich ihren Reichtum in Form von Schmuck an den Körper, als Brustscheibe, Kopfhaube, Strumpfband, künstlicher Zopf oder Rockbesatz. Der heute unvorstellbare Reichtum der Freien Friesen fand sein Ende in den gewaltigen Sturmfluten des 15. und 16. Jahrhunderts. Die Tradition des ostfriesischen Filigrans jedoch überlebte und erlebte eine neue Blüte im 18. Jahrhundert, aus dem die Muster – Herzen, Rosetten, Muscheln, Ranken, Schiffchen und Kreuze – zum Teil bis heute überliefert sind.

Steinzeitmesser

Besonders weit in die Geschichte zurückschauen, kann man mit den Objekten von Marek Thomanek, der sich auf die Herstellung von Steinzeitmessern spezialisiert hat. Die Steinzeit, ist der längste Abschnitt der Menschheitsgeschichte. Sie hat uns geprägt und ohne sie wären wir niemals zu dem geworden, was wir heute sind. Oft neigen wir dazu, diese Zeit als primitiv zu betrachten, doch wir irren uns. Die Menschen damals mussten auf ein großes Wissensspektrum zurückgreifen um überleben zu können. Sie waren innovativ und beherrschten so manches Handwerk, das seit Jahrtausenden wieder in Vergessenheit geraten ist. Thomanek versucht, das alte Wissen zu rekonstruieren. Dabei geht es ihm nicht nur um die Herstellung von musealen Repliken, sondern er möchte dieses Wissen wieder in unser Leben zurückführen. Er beschäftigt sich vor allem mit der Kunst der Feuersteinbearbeitung und wird in der Ausstellung zwei Messer zeigen, die mit prähistorischen Methoden mittels eines Schlägels aus Elchgeweih geschlagen wurden. Die Griffe bestehen aus verschiedenen Hölzern sowie eingearbeiteten Intarsien aus bunten Steinen und Mammut Elfenbein. Als Abschluss zwischen Klinge und Griff wurden Rentiersehnen verwendet.

Textil

Mal ganz ehrlich, wissen Sie, was Posamenten sind? Wenn nicht, dann sollten Sie unbedingt in der Ausstellung vorbeischauen. Wir freuen uns sehr, dass wir die Manufaktur Jende aus Forst für eine Teilnahme gewinnen konnten. Hier werden nach historischem Vorbild verschiedenste Posamenten gefertigt. Zum großen Teil in Handarbeit. Die Maschinen, die zum Einsatz kommen, sind teilweise bis zu 100 Jahre alt. Die Webstühle arbeiten noch mit Lochkarten. Posamenten sind verschiedenste Schmucktextilien. Dazu zählen Quasten, Borten, Kordeln und Taue, Fransen aber auch textile Leuchtenaufhängungen, Haltegriffe für Oldtimer oder auch Uniformbesätze.  Zu den Kunden der Manufaktur gehören nicht nur Theater, Schlösser und Museen, sondern auch Inneneinrichter, Polsterer und Raumausstattern. Natürlich werden auch Projekte für Privatkunden umgesetzt. Die verwendeten Materialien werden möglichst regional eingekauft.

Teilnehmer*innen

  • Barbara Amstutz, Silbergerät
  • Theresia Asam, Korb
  • Karin Bille, Holz / Holzschnitzerei
  • Meike Lietz-Butzer & Gerhard Butzer, Bogenbau
  • Michaela Fedeschin, Bürsten
  • Maren Jende, Posamenten
  • Klaus Kirchner, Holz/Drechseln
  • Marina Krog, Textil / Plissee
  • Gabriele Küstner, Glas
  • Philipp Lieberwirth, Geigenbau
  • Ulrich Löhmann, Schmuck / Goldfiligrantechnik
  • Christoph Martin, Korb
  • Michael Ott, Holz/Drechseln
  • Melanie Richet, Strohmarketerie
  • Marek Thomanek, Steinzeitmesser
  • Uta Ulrich, Textil
  • Heinrich Vehse und Sohn, Feinbuchbinderei
  • Felix Votteler, Holz/Drechseln
  • Horst Wesemann, Holz / Holzschnitzerei

Ausstellungseröffnung

Freitag, 15.09.2023, 19 – 21 Uhr

Begrüßung
Thomas Gehre
Präsident der Handwerkskammer Hannover

Einführung in die Ausstellung
Dr. Sabine Wilp
Leiterin Handwerksform Hannover

Ausstellungsführungen

Donnerstag, 21.09.2023 und 05.10.2023
jeweils von 16.30 bis 17.30 Uhr

Öffnungszeiten der Ausstellung:
Dienstag bis Freitag 12 bis 19 Uhr, Samstag 12 bis 17 Uhr
Sonntag, Montag und an gesetzlichen Feiertagen geschlossen

Der Eintritt ist kostenfrei.